... und warum das nicht nur mich selbst heilen kann.

friendsDer folgende (sehr persönliche) Text ist schon vor vielen Jahren zu einer Zeit als eine eigene Reflektion entstanden, als meine eigenen Beziehungen am ehesten in die Kategorie ‚es ist kompliziert‘ gepasst hätten.

Da ich mich seitdem (auch in der Arbeit mit Klienten) sehr viel mit dem Thema ‚Innere Anteile‘ und ‚Schattenarbeit‘ beschäftigt habe, stelle ich diesen Text hier jetzt der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Natürlich sind die inneren Anteile, von denen hier die Rede ist, meine ganz persönlichen Teile mit deren Themen und Reaktionsmustern. Auch wenn die bei dir wahrscheinlich ganz anders aussehen können, so wird das Prinzip m.E. trotzdem deutlich, so dass du das auf deine individuelle Situation übertragen kannst. 

Beziehung bezieht sich hier nicht nur auf eine Paarbeziehung, sondern die hier vertretenen Ideen können genauso gut angewendet werden für jede Art der etwas ‚näheren‘ Beziehung.

Mögen diese Ideen dir und euch eine Anregung sein, eure Beziehungen liebevoller zu gestalten und damit nicht nur zu eurer, sondern vielleicht sogar zur Heilung des Planeten ein kleines Stückchen beizutragen!

 

Was bedeutet es für mich „in Beziehung zu l(i)eben“?

Liebe(n) ist für mich nicht in erster Linie eine Emotion. Es geht mir auch nicht primär darum, geliebt werden zu wollen. Wobei beides natürlich auch wahr ist und in (m)einer Beziehung einen schönen Platz haben soll.

Liebe(n) ist für mich viel mehr das mich immer mehr Öffnen, dass Wahrnehmen und Annehmen dessen, was ist. In der Liebe zu meiner Partnerin heißt das, mein Herz und meine Augen ganz zu öffnen, offen zu halten, hinzuschauen und sie ganz zu sehen. Wirklich ganz, mit allem, was da ist – all den tollen, wunderschönen, liebenswerten, aber eben auch den dunklen, schwierigen und (vielleicht sogar von ihr) ungeliebten Seiten. Also so, wie ich mich selber nie mehr verstecken will, auch sie voll und ganz zu sehen und sie dabei zu unterstützen, sich selber besser kennen zu lernen und die Teile und Seiten von ihr zu heilen und zu befreien, die heute vielleicht noch ungel(i)ebt sind.

Das ist für mich ein ganz wesentlicher Aspekt einer echten Liebes-Beziehung: dass beide Partner sich gegenseitig darin unterstützen, ‚ganz‘ zu werden. Uns ganz zu dem zu entwickeln und entfalten, wie wir in unserer Einzigartigkeit gedacht sind. Ich glaube, dass das in einer Liebes-Beziehung am besten (vielleicht sogar nur da) geht, weil wir nur da auch den Teilen von uns begegnen (und diese heilen und befreien können), die uns selber gar nicht wirklich bewusst sind, da sie noch als Schatten-Anteile im Dunkeln liegen.

Der Volksmund sagt: ‚Liebe macht blind‘. Ich glaube das nicht. Verliebtheit macht blind. In der Phase erster Verliebtheit projizieren wir munter unsere eigenen Erwartungen und Wünsche auf das Gegenüber, die schwierigen Themen sind ausgeblendet, nicht sichtbar. Nach dieser Phase werden sie zwangsläufig auftauchen. Unausweichlich. Einfach, weil sie da sind. In jedem von uns, in jeder Beziehung.
Wahre Liebe ist wie ein Bewusstseins-Scheinwerfer: die Entscheidung für die Liebe hilft mir, immer wieder neu hinzuschauen, wirklich sehen zu lernen und auch die Seiten endlich zu heilen und zu befreien, die schon so lange darauf warten, ins Licht kommen zu dürfen.

Das heißt dann aber auch, die Entscheidung zu treffen, da zu bleiben. Da zu bleiben, wenn sich Schwierigkeiten und schmerzhafte Erfahrungen zeigen und dem Impuls zu widerstehen, mein Herz wieder zu verschließen und aus dem Kontakt (mit dem ‚Schwierigen‘) zu gehen.
Ich habe diese Entscheidung für mich getroffen. Zu bleiben. Mich zu stellen. Und ich bin viele Male mit sehr schmerzhaften Erfahrungen konfrontiert worden. Jedes Mal, wenn ich verlassen wurde, hat es mir das Herz gebrochen.

 

‚If a heart breaks, it breaks open‘ 

In diesem ‚Aufbruch des Herzens‘ steckt (wenn es gelingt, das Herz offen zu halten) aber auch eine große Chance: wirklich ‚in Liebe‘ zu bleiben und zu erfahren, dass weder meine Liebe (zu ihr) verschwindet, noch dass Schmerz und Liebe ein Widerspruch sind. Im Gegenteil: ich kann den Schmerz entweder wieder einschließen (in dem ich mein Herz wieder verschließe, wobei er dann aber auch nur auf die nächste Gelegenheit wartet, sich wieder zu zeigen) oder aber ich kann den Schmerz durch meine eigene (Selbst-)Liebe transformieren und so vielleicht ein Stück Heilung geschehen lassen kann.

Ich nutze diese Erfahrungen (versuche das zumindest so gut ich es halt kann) bewusst, um mehr über mich selber, über meine eigenen Wunden und Schatten-Themen zu erfahren und zu heilen. Mein Schmerz ist mein Schmerz und meine Verletzungen sind meine Verletzungen. Und nur ich selber werde langfristig in der Lage sein, sie zu heilen.

Insofern übernehme ich die volle Verantwortung für mich und meine Gefühle selber.

Lieben heißt für mich auch, die ganze Geschichte des Anderen zu sehen und anzunehmen. Wir sind nun mal geprägt durch unsere Geschichte(n), durch die Familien und Kontexte, in denen wir aufgewachsen sind. Hier gibt es oft viele alte Wunden und Verletzungen, die noch geheilt werden wollen. Sie zu lieben heißt, sie mit ihrer ganzen Geschichte anzunehmen und ihr den Raum für Wachstum und Heilung zu geben. Es heißt nicht, dass ich diese Heilung ‚machen‘ kann. Wir können uns aber auf unserem jeweiligen Heilungsweg begleiten und liebevoll unterstützen. Die ‚Arbeit‘ müssen wir schon jeder selber machen.

 

‚Ganz‘ werden wir nur über die Integration unserer Teile

Im Laufe der Zeit ist mir immer deutlicher geworden, welche Rolle hier unsere inneren ‘Teile’ spielen und welche Dynamik sie in Beziehungen entwickeln. Ich habe auch den Eindruck, zu erkennen, welche Schritte notwendig und hilfreich sind, um nicht immer wieder irgendwelchen unbewussten Anteilen das Feld zu überlassen. Oder es immer wieder zu unwillkürlichen, für die Beziehung schädlichen und bedrohlichen Reaktionen kommen zu lassen.

Der Umgang mit Wut

Mir ist irgendwann klar geworden, dass es (für mich) vielleicht gar nicht primär darum geht, direkt mit ‚meiner Wut‘ (oder eben dem Teil, der manchmal so arg wütend werden kann) zu arbeiten.

Sondern dass dieser Teil eigentlich eine ganz verständliche Rolle oder Aufgabe übernommen hat und es viel mehr darum geht, die Bedingungen so zu verändern, dass diese Rolle so nicht mehr gebraucht wird. Letztlich wird dieser ‚Beschützer‘ ja nur dann aktiv, wenn er sich schützend vor einen anderen, selber total hilflosen Teil wirft, um diesen vor erneuter Verletzung zu schützen.

'Verbannte', 'Beschützer' und 'Manager'

Der Teil, der da geschützt werden soll, ist offensichtlich noch sehr klein. Vielleicht so 3 oder 4 Jahre mag er alt sein. Sein allergrößter Schmerz ist, verlassen zu werden. Seine allergrößte Angst ist, ‚nicht richtig‘ zu sein und eben genau deswegen wieder alleine gelassen zu werden. Dieser Schmerz ist so gut wie unerträglich. Es sieht so aus, als habe ich diesen Teil (weil er bedrohlich ist in dem Sinne, dass er mich 'funktions-unfähig' macht, wenn er aktiv wird und das Feld übernimmt) irgendwohin verbannt und bisher alles versucht, ihn in seiner Verbannung zu halten, um seinen Schmerz nicht spüren zu müssen. Zur Unterstützung habe ich dazu einen anderen Teil: den ‚Manager‘, der immer alles im Griff hat. Der ist sehr darauf bedacht, immer alles ‚richtig‘ und ‚perfekt‘ zu machen und dadurch alles unter Kontrolle zu halten. Was ja auch wunderbar gelingt, solange ich allein bin: da kriege ich alles gut geregelt, der kleine Anteil wird zwar nicht sonderlich beachtet, aber er erlebt halt auch nicht, ‚nicht richtig zu sein‘ und deswegen verlassen zu werden.

Kommt jetzt eine Beziehungspartnerin in Sicht, wittert der Kleine seine Chance, doch endlich geliebt und angenommen zu werden. Er traut sich aus seinem Versteck und wendet sich hoffnungsvoll an sie. Solange sie für ihn da bist, ist alles gut: der Manager kann das geschehen lassen, dem Kleinen geht es gut. Wenn sie sich dann aber (was völlig unvermeidbar ist!) mal abwendet, geht der Alarm los: der Kleine kriegt eine Heiden-Angst, der ‚Beschützer‘ wird alarmiert und wirft sich dazwischen. Jetzt bloß alles tun um zu vermeiden, dass der Kleine wieder seine Verletzung spüren muss!

Das alles sind meines Erachtens völlig normale und verstehbare Vorgänge, wie sie üblicherweise immer und in allen Beziehungen passieren. Aber wie ist der Weg da heraus? Wie kann diese (ungute) Dynamik unterbrochen werden?

 

Die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen

Das geht wohl nur dadurch, dass ich selber (mein waches und bewusstes ‚Selbst‘) mehr und mehr die Verantwortung für alle diese verschiedenen Teile voll und ganz übernehme. Dass ich quasi in einem Akt der Selbst-Liebe (in dem oben geschilderten Sinne) mein Herz und meine Augen für meine eigenen inneren Anteile öffne. Dass ich mir also in erster Linie diesen kleinen, verbannten Anteil anschaue und den immer besser kennen und lieben lerne. Anfangs habe ich gedacht, ich müsse mich ‚um den kümmern‘, dann hat mir aber mein Therapeut ordentlich den Kopf gewaschen: es geht eben nicht darum, noch mehr zu machen (was die Domäne des ‚Managers‘ ist, der ja immer alles im Griff haben muss!), sondern dass es hier eben einfach ‚nur‘ darum geht, diesem kleinen Teil in mir Raum und Aufmerksamkeit geben und ihn so da sein zu lassen, wie er es will und braucht. Damit kriegt auch die Idee ‚seinen Schatten zu integrieren‘ eine neue Note: es geht nicht darum, die Wut als Schatten zu integrieren, sondern die Wut als einen Hinweis zu nehmen um ihrer Spur zu folgen auf der Suche nach dem wirklich im Schatten liegenden, verbannten Teil in mir.

Was ich besonders spannend finde, dass ich auf diese Weise plötzlich ganz überraschende Seiten an dem Kleinen kennenlerne: der hat so was Spontanes, Unvernünftiges, Spielerisches! Für den ist Konsequenz buchstäblich ein Fremdwort und genau genommen weiß er noch nicht einmal (und will es vielleicht überhaupt nicht wissen!) was ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist. Der will einfach nur so sein.
Ups, das sind jetzt nicht wirklich Qualitäten, denen ich in meinem Leben bisher sonderlich viel Raum gegeben habe! So ganz vorsichtig entsteht da so was wie eine Sehnsucht: hmm, wenn mir das gelingen könnte, diese Qualitäten mehr in mein Leben zu integrieren, was könnte daraus entstehen? Vielleicht könnten sich alle meine inneren Teile wohler fühlen und entspannen: der Kleine könnte einfach so sein, wie er mag, der Manager muss sich weniger anstrengen und der Beschützer wird seltener (oder gar nicht mehr?) gebraucht? Das fühlt sich noch etwas unsicher, aber durchaus wie eine schöne Perspektive an!

Der Vorteil für eine Beziehung wäre der, dass ich nicht unbewusst die Verantwortung für die Fürsorge für den Kleinen an meine Partnerin abgebe (was zwangsläufig eine Überforderung für sie und die Beziehung sein muss), sondern dass ich selber die ‚primäre Bezugsperson‘ für ihn sein kann.

Und wenn es dann noch so sein könnte, dass wir als Partner nicht ‚als‘ unsere Teile miteinander kommunizieren (wenn wir mal wieder unbewusst mit ihnen identifiziert sind), sondern aus dem wachen und bewussten Selbst heraus ‚für‘ unsere Teile sprechen können (und ich ihr z.B. sagen kann, welches Bedürfnis der Kleine gerade hat, oder dass der ‚Beschützer‘ grad wieder die Ärmel hochkrempelt), dann könnten wir sehr viel freier bewusst gemeinsam entscheiden, in welcher Form wir (oder unsere Teile) gerade miteinander in Kontakt sein wollen (oder welchen Abstand wir brauchen).

 

Wie Kommunikation gelingt – und wie nicht

In dem Zusammenhang finde ich es auch sehr wichtig sich immer wieder klar zu machen, wie Kommunikation gelingt – und vor allem, wie sie zwangsläufig misslingt. Wenn wir wach und bewusst sind, und uns – unserer inneren Teile und deren Muster gewahr – von Selbst zu Selbst austauschen und da heraus sogar über diese Teile sprechen können, ist alles wunderbar.

Was aber in dem anderen Fall – wenn uns nicht bewusst wird, welcher Teil da gerade in dem Einen spricht und welcher Teil in dem Anderen zuhört – passiert, ist fatal. Dann sind Missverständnisse und Konflikte gar nicht mehr vermeidbar.

Wir wissen, dass ‚die Bedeutung einer Botschaft vom Empfänger gemacht‘ wird. Was so viel bedeutet wie, dass der Empfänger immer das interpretiert, was er von dem Anderen (an verbaler Aussage oder sonstiger Äußerung) wahrgenommen zu haben glaubt. Das alleine sollte eigentlich schon genug Grund sein, im Zweifelsfall (bei unangenehmen, ‚negativen‘ Botschaften) noch mal nachzufragen, um zu größerer Klarheit zu kommen, bevor große Entscheidungen getroffen oder Meinungen ‚über den Anderen‘ gebildet werden.

Wir basteln uns einen Beziehungs-Konflikt

Was aber, wenn der Sender der Botschaft grad ein unbewusst agierender Teil des Einen war und diese Botschaft auch noch von einem komplementären, ebenso unbewussten Teil des Empfängers aufgenommen und in seinem Sinne interpretiert wird?

Das ist der Stoff, aus dem die allermeisten Beziehungs-Konflikte sind. Es passiert überall und so oft, dass es selten überhaupt als etwas Ungewöhnliches wahrgenommen wird.

Der Weg zu gelingender Kommunikation

Der Weg da heraus ist meines Erachtens absolut essentiell für das Gelingen von Beziehungen:

Erstens, ich mache mir mal meine (bzw. eben die meiner inneren Teile) Annahmen und Glaubenssätze über den Anderen bewusst und überprüfe die aus der Perspektive des ‚wachen und liebenden Selbst‘: ist das wirklich mein geliebter Partner? Oder projiziere ich meine eigenen Glaubenssätze oder Ängste, oder sind es vielleicht sogar doch wahre (aber eben unvollständige) Aussagen über einzelne Teile meines Gegenübers?

Zweitens, ich versuche mehr und mehr sehr bewusst wahrzunehmen, ‚wer da spricht‘:
spreche ich gerade wach und klar aus meinem reifen Selbst, oder agiert da grad eines meiner Teile? Höre ich da grad ihr waches Selbst oder höre ich einen ihrer Teile? Welcher Teil in mir hört gerade zu und reagiert wie? In diesem Falle ist es mir viel leichter, auch eine ‚negative Botschaft‘ zu empfangen, wenn ich mir bewusst machen kann, dass da grad nicht meine ‚ganze Liebste’ spricht und das jetzt ihre einzige Meinung ist, sondern dass es halt (verständlicherweise!) Teile in ihr gibt, die auf bestimmte Situationen eben genau so reagieren.

Oder wenn ich wahrnehme, dass da ein ganz empfindlicher Teil in mir gerade was gehört hat, was ihm gar nicht gefällt. Dann muss ich nicht die Botschaft oder ihren Sender zurückweisen, sondern kann mich um meinen eigenen inneren Teil kümmern. Oder (vielleicht nach ein bisschen Abstand) es transparent machen, dass da grad ein Teil durch eine bestimmte Aussage verletzt war, und es kann ein waches Gespräch über diese Situation entstehen anstatt eines emotional geladenen Streits aus der Situation heraus.

Das Alles kann man sicherlich nicht einfach qua Entscheidung erreichen. Das ist ein Lern-Prozess, der eine Weile dauern mag.

Ich kann mich aber dazu entscheiden, so einen Weg zu gehen.

 


Epilog

StefanUnd was ist jetzt (nach über 10 Jahren dieses Weges) aus mir und meinen Beziehungen geworden? 

Irgendwann habe ich erkannt, dass es der Dreijährige ist, der panische Angst davor hat, verlassen zu werden. Und das ich (der große Stefan) das zwar auch nicht mag, aber eigentlich ganz gut aushalten kann.
Da habe ich dann dem Kleinen versprochen: ich verlasse dich nie wieder.

Um mich daran immer wieder zu erinnern, habe ich dieses Bild aufgestellt, welches gleich neben meinem Altar mit dem Buddha steht.

Seitdem lebe ich (zumindest mit mir selber 😉) in einer glücklichen, tiefen und zufriedenen Beziehung.